Unsere Kraftquellen zu einer stärkeren Resilienz
Hier ein Interview mit Anando Würzburger zum Thema Resilienz:
Ishu von der deutschen O.T. : „Zum Leben gehören Schicksalsschläge wie schwere Krankheiten oder der Verlust von Freunden und Angehörigen. Kein Mensch ist davor gefeit – was kann helfen mit solchen Krisen umzugehen?“
Anando: „Da ist unsere Widerstandkraft gefragt, - das, was wir als Resilienz bezeichnen. Damit meinen wir die inneren Kräfte, die es uns ermöglichen, Krisen und Schicksalsschläge nicht nur zu überwinden, sondern im besten Falle sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen
Für unsere Resilienz spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen werden wir schon mit ganz unterschiedlichen Anlagen geboren. So ist unsere Fähigkeit mit Stress umzugehen, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige kommen mit einem empfindlichen Nervenkostüm auf die Welt – andere sind fester verdrahtet und dadurch ziemlich stressresistent.
Im weiteren spielt natürlich eine wichtige Rolle, was wir in unserer Kindheit gelernt haben. Haben wir zum Beispiel gelernt, unsere aufgeladenen Emotionen zu beruhigen? Und konnten wir später als heranwachsender Mensch die Erfahrung machen, dass wir Dinge in die Hand nehmen und etwas für unser Wohlergehen tun können? Oder haben wir eher erfahren, dass unser Tun keinen Erfolg hatte.
Unsere eigene Widerstandfähigkeit ist also von ererbten Anlagen als auch von unseren gemachten Erfahrungen geprägt.“
Ishu: „Wir kommen also mit sehr unterschiedlichem Rüstzeug auf die Welt?“
Anando: „Richtig, aber darauf sollte sich keiner ausruhen, denn für alle Krankheiten hat der liebe Gott ein Kraut wachsen lassen! (lacht) Das heißt: Wir können unsere Fähigkeit zur Resilienz auch noch im späteren Alter erlernen und trainieren. Das hat etwas mit unserer Eigenverantwortung zu tun: Will ich das lernen und will ich mich darin üben?
Dazu ist es natürlich wichtig, dass ich mich selber wirklich kennen gelernt habe. Dass ich weiß: Wo sind meine Stärken und wo bin ich eher anfällig?
Ich kann zum Beispiel lernen, mich auch in Stresssituationen zu beruhigen. Meditation, Übungen aus dem Yoga, Qi Gong oder anderen Disziplinen können uns dabei helfen – ohne, dass wir zu künstlichen Hilfsmitteln (Drogen, Alkohol etc) greifen müssen, die uns dann letztlich schaden. Gut sind dabei vor allem die Übungen, die uns Freude machen. Deswegen sagte auch Osho immer: Mache die Meditation, die dir am meisten Spaß macht! Das können natürlich im Laufe der Zeit unterschiedliche sein.
Im kann ich auch einen anderen Umgang mit meinen Gefühlen lernen. Wenn ich etwa die Erfahrung gemacht habe, dass meine Emotionen früher nicht gerne gesehen waren, kann ich lernen, ihnen nicht feindlich zu begegnen. Indem ich versuche, ihnen unvoreingenommen zu begegnen, schaffe ich Raum für die Frage: Wie kann ich jetzt mit ihnen umgehen?
Nicht zuletzt ist unsere soziale Vernetzung ein wesentlicher Resilienz-Faktor. Fühlen wir uns mit anderen verbunden und haben wir einen Freundeskreis, von dem wir uns getragen fühlen? Auch dafür kann ich ja einiges tun!“
Ishu: „Nehmen wir mal einen konkreten Fall: Peter, 32 Jahre, verliert seine Arbeit. Seine Firma musste Stellen einsparen und so steht Peter auf einmal ohne Job da. Er hat seine Arbeit geliebt und ist tief verletzt, dass ausgerechnet seine Stelle gestrichen wurde. Jetzt fühlt er sich als Loser und hat regelrecht Panik, dass er irgendwann auf der Straße landet. Was kann ihm helfen?“
Anando: „Zunächst mal ist es in so einer akuten Krise wichtig zu unterscheiden: Was ist nur der Film in meinem Kopf und was ist Realität? Unser Verstand malt in solchen Situationen gerne den Teufel an die Wand. Und so entsteht dann ein Szenario, wo man sich schon als Bettler vor dem Supermarkt sitzen sieht. Hier ist es wichtig, innezuhalten und zu gucken: Was ist real und was sind meine Ängste, die nur auf Vorstellungen beruhen?
In unserem Fall ist es sicher wesentlich, dass Peter zuvor gelernt hat: Ich bin wertvoll so wie ich bin und nicht nur, weil ich den tollen Job habe. Es geht um einen Selbstwert, der sich nicht an äußeren Dingen festmacht. Denn wenn wir uns davon abhängig machen, sind wir viel störanfälliger und werden manipulierbar.“
Ishu: „Nur fühlt Peter durch die Entlassung zutiefst entwertet. Wie soll er in so einer Situation Selbstwert entwickeln?“
Anando: „Das kann man in der Tat lernen, aber natürlich geht das nicht hoppla hopp. Man muss herausfinden: Woran mache ich meinen Selbstwert fest und was macht mich als Mensch eigentlich aus? Wenn ich als kleines Kind immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass ich nur geliebt werde, wenn ich eine Leistung erbringe, ist es natürlich besonders schlimm, wenn ich mich nicht mehr als Leistungsträger fühlen kann. Wenn ich als Kind dagegen erfahren konnte, dass ich um meiner selbst willen geliebt werde, wird mein Selbstwertgefühl auch in so einer Situation viel stabiler sein. Insofern werden in der Kindheit wichtige Weichen gestellt. Das ist die Schattenseite von Lob und Tadel in der Erziehung. Und natürlich leben wir in einer Gesellschaft, die insgesamt auf die Erbringung von Leistung, auf das Haben ausgerichtet ist. Das hat Erich Fromm in seinem Buch „Haben oder Sein“ sehr detailliert beschrieben.
Konnte ich dagegen lernen, mich mehr auf das Sein auszurichten, wird auch mein Selbstwert stabiler sein. Hilfreich ist dabei ein Eingebunden-Sein in eine gesunde Spiritualität. Wenn ich mich selbst als Teil von etwas Größerem sehen kann, werde ich mir selbst und auch meinen Mitmenschen mit mehr Mitgefühl und Akzeptanz begegnen. Auch das ist ein wichtiger Resilienzfaktor.
Ishu: „Oft geht ja gerade in der akuten Krise, dieses Gefühl verloren, Teil von etwas Größerem zu sein…“
Anando: „Wir müssen verstehen, dass in jedem von uns, verschiedene Anteile leben. Es gibt den Erwachsenen, der zumeist auch erfahren konnte, dass er sich selber lieben und schätzen kann und der auch das Gefühl des Eingebunden-Seins kennt. Und dann gibt es unsere frühkindlichen Erfahrungen, das, was wir als „Inneres Kind“ bezeichnen. Wenn dieses Kind gelernt hat, dass es nur geliebt wird, wenn es für Mutti etwas Tolles gemacht hat, wird es schnell in Panik geraten, wenn das Gefühl des Versagens entsteht. Mir hilft es in solchen Momenten, dieses Kind in mir an die Hand zu nehmen und ihm zu sagen: „Ich bin bei dir!“
Ich mache mir also klar, dass bei dem Problem etwas angestoßen wird, was mit meinen frühen Erlebnissen zu tun hat. Etwas, das mir als Kind nicht gut getan hat oder sogar traumatisch war. Jetzt gibt es aber auch den Erwachsenen, der handlungsfähig ist und das Kind beschützen kann. Und dieser erwachsene Anteil kann dann auch in unserem Fall neue Ideen entwickeln: Er kann sich nach einer neuer Arbeit umgucken oder eine Fortbildung machen. Vielleicht entsteht dabei sogar so etwas wie Abenteuerlust: Ich mische mein Leben noch mal neu auf! Neue und gute Ideen können aber nicht im Stress entstehen, sondern nur aus einer Entspannung heraus. Und die finde ich nur, wenn ich wieder Boden unter den Füßen habe. Gerade wenn wir in Stress geraten, denken wir am wenigsten an die guten Dinge, die uns nähren können. Unser System ist darauf angelegt, dass wir erst das Problem beseitigen wollen, um danach zu entspannen. Nur funktioniert das Leben so nicht. Meist hilft es viel mehr, wenn ich mir selber Raum zur Entspannung gebe. Auch wenn das nun nicht direkt mein Problem löst, habe ich dann ganz andere Möglichkeiten, kreative Lösungen zu finden.“
Ishu: „Es ist also gut, so eine Art von „Selbstregulation“ zu erlernen?“
Anando: „Genau! Wir können eine Selbstregulation unseres Körpers und unseres Nervensystems lernen. Gerade das haben wir in unserer Kindheit oft nur unzureichend gelernt. Ein Baby kann sich noch nicht selber beruhigen. Es kann sich nur müde schreien und wird dann vor Erschöpfung einschlafen. Das ist natürlich kein Sich-Beruhigen! Das Baby braucht also den Kontakt mit dem Erwachsenen, um sich zu beruhigen. Aus der Resilienz-Forschung wissen wir, wie benachteiligt Kinder sind, die aus Problemfamilien kommen, wo Dauerstress herrscht. Bei diesen Kindern entwickelt sich dann das Angstzentrum im Gehirn besonders stark. Ähnliches hat man auch bei Kindern gesehen, die bereits im Alter von 6 Wochen in die Krippe gegeben wurden. Oft fehlt da der Halt durch eine vertraute Bezugsperson, so dass diese Kinder in einer Art Dauer-Stress groß werden. Auch da gibt es natürlich robustere Kinder, die so etwas gut wegstecken können und sensiblere Kinder, für die das sehr schädlich sein kann. Wenn das sensible Kind bekommt, was es braucht, hat es ein sehr hohes Entwicklungspotenzial – ansonsten steht es viel schlechter dar als der robuste Typ.“
Ishu: „Also lernen wir unsere Fähigkeit zur Selbstregulation durch Bindung an andere?“
Anando: „In den ersten Lebensjahren ist das sicher so. Deswegen ist es so wichtig, dass ein bestimmtes Maß an Kommunikationsfähigkeit zwischen Eltern und Kind gegeben ist – ohne, dass die Eltern dabei zu Helikopter-Eltern werden. Sicher geht es da nicht um Perfektion, sondern um ein gewisses Einstimmen auf das Kind.
Viele von uns haben das – genauso wie unsere Eltern – nur unzureichend erfahren. Die gute Nachricht ist, dass man auch noch als Erwachsener lernen kann, in sich selbst wieder Ruhe zu finden. Dabei kann natürlich Meditation helfen, Abstand zu seinen aufgeregten Gedanken zu finden, statt sie noch anzufachen.
Auch viele von unseren Freizeitritualen dienen der Selbstregulation. Wer gerne ins Stadion geht, um sich dort für seinen Verein, die Kehle aus dem Leib zu schreien, kann auf diese Weise natürlich auch innere Spannungen abbauen.
Insofern ist es hilfreich, seine Freizeitgewohnheiten daraufhin anzugucken, ob sie uns nähren und sie dann auch dafür zu wertschätzen. Als ich angefangen habe, mich mit der Resilienzforschung zu beschäftigen, konnte ich bemerken, dass im Grunde alles, was ich gerne tue, auch meine Resilienz fördert. Bei mir ist das zum Beispiel Spazierengehen oder mich mit meinen Freunden zu treffen. Wenn ich das weiß, wird mir auch klar, wie gut es ist, mir dafür Zeit zu nehmen.“
Ishu: „Daher ist es wahrscheinlich am besten, Resilienz in guten Zeiten zu üben, so dass ich sie wirklich in meinem Leben verankern kann. Dafür wäre ein wichtiger Schritt zu überlegen: Was tut mir gut und was gibt mir Kraft?“
Anando: „Die Selbsterforschung nach den eigenen Kraftquellen finde ich ganz wichtig. Genauso wie sie dann zu pflegen, um sie auch in der Krise aufgreifen zu können. Unser Nervensystem braucht ein regelmäßiges Zur-Ruhe-Kommen, um sich dann neuen Herausforderungen stellen zu können. Wenn wir uns an Dauerstress gewöhnen, werden irgendwann unsere Energiereserven erschöpft sein, so dass wir im Burn-Out landen. Allerdings wissen viele gar nicht, wie sich ein wirklich entspanntes Nervensystem überhaupt anfühlt. Auch da ist wieder Neugierde zur Selbsterforschung gefragt: Wie ticke ich eigentlich?“
Ishu: „Die Resilienzforschung der letzten Jahre hat der Therapie wichtige neue Impulse gegeben. Was davon ist dir besonders wichtig?“
Anando: „Ich bin sehr froh, dass es diese Forschung gibt, weil sie u.a. belegt, wie hilfreich Meditation ist, um die Regionen im Gehirn zu entwickeln, die uns helfen können, anders mit Stress umzugehen. In gewisser Weise ist das zwar eine Instrumentalisierung von Meditation, aber es kann ja auch ein Anfang für ein tieferes Kennenlernen sein.
Wichtig finde ich für die Therapie, dass sie eben nicht nur auf die Defizite und Probleme des Klienten schaut, sondern mindestens genauso auf seine Ressourcen: Wo ist Kraft? Wo ist es hell? Wo gibt es ein Fließen?
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Resilienz-Forschung ist die sogenannte Co-Regulation. Wir regulieren uns eben nicht nur alleine in der Meditation, sondern wir brauchen auch ein Gegenüber. Osho benutzte oft das Bild der zwei Flügel, die wir zum Fliegen brauchen: Meditation und Liebe. Liebe gerade auch im Sinne von Freundschaft. Wenn wir vor einer besonderen Herausforderung stehen, kann eben der Austausch mit einem mitfühlenden Freund enorm helfen, um wieder Boden unter die Füßen zu bekommen. Indem ich ihm von meinem Problem erzähle, kann sich allein durch das Gehört-Werden unser Nervensystem beruhigen. Wir machen oft den Fehler, dass wir als Freund oder Freundin denken, wir müssten jetzt für den anderen das Problem lösen. Doch darum geht es nicht. Die Lösung liegt immer in mir selbst - doch mein Gegenüber kann mir durch sein mitfühlendes Zuhören den Raum geben, sie zu finden.
Insofern sind die beiden Flügel Liebe und Meditation vielleicht die wichtigste Grundlage für unsere Resilienz.“