Selbstliebe
ein Interview mit Anando Würzburger,
von Ishu Lohmann
Eines lernen wir gründlich von klein auf: Für Erfolge bekommen wir Liebe – für Fehler gibt’s Tadel. Entsprechend leicht fällt uns die Selbstliebe, wenn unsere Projekte gelingen. Was aber ist mit Zeiten, wo wir mächtig Gegenwind haben und nichts klappt? Können wir lernen, uns auch dann wertzuschätzen?
Was kann uns helfen, Freundschaft mit uns selbst zu schließen?, - darüber sprach ich mit der Therapeutin und Hara-Expertin Anando.
Ishu Lohmann: Fällt es dir eigentlich schwer, dich selbst zu lieben, wenn sich für eine Gruppe von dir nur zwei Leute angemeldet haben?
Anando: (lacht) Das ist durchaus eine Situation, die ich kenne. Als wir nach der Kommune das UTA-Institut aufbauten, hatten Ramateertha und ich oft Probleme, unsere Gruppen voll zu bekommen. Da waren wir schon froh, wenn wir drei Teilnehmer hatten. Und natürlich kommen dann auch Selbstzweifel. Das ist genau der Punkt, wo viele scheitern, wenn sie etwas machen, was ihnen sehr am Herzen liegt. Wenn es anfangs keine richtige Resonanz gibt, nehmen viele das persönlich: als mangelnde Wertschätzung von außen. Dann hängen viele ihre Herzensangelegenheit an den Nagel. Einerseits ist es völlig natürlich, dass wir Resonanz von außen brauchen. Problematisch wird es immer, wenn wir uns davon abhängig machen. Zum Glück hatten wir damals Ausdauer!
I: Warum ist unser Selbstwertgefühl so von dem Urteil der anderen abhängig?
A: Als Kinder sind wir ganz stark auf eine Resonanz angewiesen. Wir brauchen einen positiven Widerhall – einfach dafür, dass es uns gibt. Kinder brauchen und lieben Energie. Wenn du ihnen Aufmerksamkeit schenkst, fühlen sie sich gut. Diese positive Zuwendung bekommen sie aber vor allem dann, wenn sie etwas gut machen. Wir loben das Kind, wenn es zum ersten Mal ins Töpfchen macht oder zum ersten Mal „Mama“ sagt. So lernen Kinder ganz früh den Mechanismus: Wir bekommen Liebe, wenn wir eine Leistung erbringen. Und genau das machen wir dann später mit uns selbst: Ich kann mich nur lieben, wenn ich „gut“ bin. Es ist daher ganz wichtig, dass Kinder die Aufmerksamkeit ihrer Eltern auch ohne besondere Leistung bekommen. Einfach dafür, dass sie da sind, dass sie sind, wie sie sind.
I: Das ist ein sehr hohes Ideal. Ist es nicht natürlich, dass Eltern sich Sorgen machen, wenn ihr Kind schlecht in der Schule ist, weil es zum Beispiel Legastheniker ist? Dass sie es dann loben, wenn es besser wird, ist doch nur natürlich?
A: Klar, das ist natürlich! Aber dieses Lob muss in einer Balance zu etwas anderem stehen: Dass du dein Kind auch unabhängig von seiner Leistung wertschätzt. Loben von etwas kann genauso schaden wie ständiges Tadeln. Die Eltern loben das Kind für das Bild, das es gemalt hat. Dann sagt sich das Kind: Dieses Bild finden meine Eltern ganz toll, also mal ich noch so eines. Dadurch kann ein Kind auch die Unschuld in Bezug auf seine Kreativität verlieren. Es ist daher ganz wichtig, dass wir die Zuwendung für das Kind nicht immer mir „gut“ oder „schlecht“ koppeln.
I: Nur leider sind wir alle nicht so aufgewachsen. Fällt es uns deswegen so schwer, uns zu lieben, wenn es nicht gut läuft?
A: Durch den Mechanismus Lob-für-gut / Tadel-für-schlecht kommen wir in einen leistungsabhängigen Modus. Wir geraten ins Hamsterrad und lernen, dass Liebe Anstrengung kostet. Also strengen wir uns an, um Status und Bestätigung zu bekommen.
I: Und weil wir immer noch besser werden müssen, machen wir dann auch noch Therapie…
A: (lacht) So kommen wir zumindest erstmal dorthin: Ich komme zu dir, weil ich mich verbessern will. Da beißt die Katze sich dann in den Schwanz.
Eines habe ich bei Osho wirklich gelernt: Es verändert sich nichts, solange du dich verbessern willst oder du deinen Ballast loswerden willst! Veränderung kann erst geschehen, wenn du lernst, dich auch mit deinen Fehlern anzunehmen. Und dieses Lernen hört nie auf. Ich merke das gerade jetzt, wo ich älter werde. Wo ich für bestimmte Sachen einfach mehr Zeit brauche und nicht mehr so klotzen kann wie früher. Dann geht es auch darum, diese Einschränkungen des Älterwerdens liebevoll anzunehmen und nicht ständig über die Grenzen zu gehen, die der Körper einem aufzeigt. In jeder Lebensphase stellt sich das Selber-Annehmen neu. Und das kann niemand anders für dich machen.
I: Inwieweit kann dann Therapie helfen?
A: Der Therapeut kann insbesondere helfen Muster, die in einer Beziehungsdynamik entstanden sind, zu verändern. Wenn du zum Beispiel diesen Perfektions-Drang hast, kann es sehr hilfreich sein, wenn dein Therapeut dir spiegelt, dass es ganz okay ist, Fehler zu machen. Dann hast du einen anderen Spiegel als deine Eltern, die dich immer kritisiert haben. Oder du kannst mit ihm besprechen, dass du es sehr peinlich findest, dass du zum Beispiel in bestimmten Situationen Angst hast. Dass der Therapeut dann nicht entsetzt den Kopf schüttelt und die Hände zusammenschlägt, kann dir das Annehmen erleichtern.
I: Aber das ist eine Labor-Situation, das ist noch nicht das wirkliche Leben…
A: Und doch kannst du in der Therapie lernen – und dein Gehirn lernt ja mit. Es lernt: es gibt einen anderen Widerhall auf mich und das tut mir gut! Etwas entspannt sich in mir. Das fühlt sich gut an! Wenn dann dieses Gefühl des Versagens wieder auftaucht, kannst du dir selber sagen: Okay, jetzt habe ich Angst, aber ich bin trotzdem in Ordnung.
I: Im Grunde geht es also um eine Art von Wahrnehmungsschulung: Du lernst wahrzunehmen: Was tut mir gut und was nicht?
A: Ja, das ist ein wichtiger Teil des Lernens. So kann das Gehirn alte Erfahrungen mit neuen überschreiben. Wenn die tief eingeschliffen sind, müssen wir das vielleicht ein paar Mal hören, bevor wir es annehmen können. Das braucht schon Zeit, um das zu spüren und zu verdauen. Letztlich geht es in der Therapie darum, dass du neue Erfahrungen machen kannst und so auch neue Verknüpfungen im Gehirn entstehen können.
I: Aber kann nicht auch Selbst-Erkenntnis ein Gefühl der Minderwertigkeit noch verstärken? Nehmen wir jemanden, der große Probleme hat, sich abzugrenzen. Sein Chef drückt ihm ständig Überstunden auf und er kann sich nicht wehren. Er hat das „Nettigkeits-Syndrom“. Das sieht er selbst ganz klar und dafür verachtet er sich…
A: Da sind mehrere Schichten. Da ist zum einen die Verachtung für die eigene Unfähigkeit und zum anderen das Problem, Grenzen zu setzen. Die tiefere Schicht ist das Grenzen setzen. Es geht dabei um einen natürlichen Aggressionsimpuls. Sich abgrenzen ist ein ganz natürlicher Teil von uns. Wenn wir da Probleme haben, unterdrücken wir etwas. In der Therapie ginge es also darum, diesen Impuls überhaupt erstmal wahrzunehmen, ihn spüren zu dürfen und ihm Raum zu geben. Wie ist das, wenn ich die Zähne fletsche und meine Tigerkrallen spüre?
I: Ziel der Therapie wäre also nicht, seinen Frieden damit zu machen, dass ich es einfach nicht drauf habe, dem Chef die rote Karte zu zeigen?
A:Es geht schon auch darum, anzunehmen, dass uns das schwer fällt. Dann kommt aber sofort die Frage: Warum fällt es so schwer?
Indem wir uns mit der obersten Schicht annehmen, können wir uns dem wirklichen Problem zuwenden. Warum fällt es mir so schwer, diesen natürlichen Abwehrimpuls zuzulassen? In der Therapie kann ich lernen, diesen Impuls überhaupt mal wahrzunehmen und ihm Raum zu geben. Je mehr wir uns damit annehmen können, desto mehr verbinden wir uns mit unserer ursprünglichen Kraft. Wenn ich von früh an gelernt habe, dass Aggression schlecht ist, bin ich da natürlich blockiert. Konditionierung schafft Blockaden. Sie versperrt uns den Zugang zu unserem natürlichen Sein.
I: Selbstliebe bedeutet insofern auch, dass wir uns ganz annehmen und nicht nur ein Teil-Selbst lieben und den Rest von uns abspalten. Gerade auch in spirituellen Kreisen wird ja gerne alles abgespalten, was uns so schrecklich unerleuchtet erscheint.
Du hast ja der letzten Osho Times aus einem Brief an deine Mutter zitiert, den du in den siebziger Jahren geschrieben hast: „Ich werde für immer in Indien bleiben und vom Rad des Lebens springen.“ Ist das nicht auch eine Art von Abspaltung: Ich widme mein Leben ab jetzt zu 100 Prozent der Erleuchtung – alles andere interessiert mich nicht mehr?!
A: (lacht) Ja, absolut! Wenn ich über Spaltung spreche, spreche ich wirklich aus Erfahrung. Ich weiß, wie die entsteht und wie sie sich anfühlt. Wenn wir unter mangelnder Selbstliebe leiden, haben wir immer den Drang, etwas Besonderes sein zu müssen. Dafür suchen wir uns dann ein Feld, wo wir besonders sein können. Ob ich mich dann anstrenge, ein ganz toller Meditierer zu werden oder ein ganz großartiger Sportler, ist egal. Die Hauptsache ganz toll!
I: Wie ist es dir dann gelungen, die anderen Teile deines Selbst wieder zu integrieren?
A: Ich habe Osho ja jahrelang zugehört und er hat sich oft zu diesem Thema geäußert. Irgendwann ist dann auch bei mir der Groschen gefallen. Immer dann, wenn ich mal wieder diese Anstrengung spüre, etwas noch besser machen zu müssen, weiß ich inzwischen, dass ich auf dem Holzweg bin. Wenn dein Ziel aber die Erleuchtung ist, musst du halt noch mehr und noch besser meditieren. Dann wird Meditation zum Leistungssport. Das ist ja ein Widerspruch in sich! Wirklich zur Ruhe kommen und hingucken, kannst du ja gar nicht, wenn du immer besser werden willst. Dann bist du nie da, wo du gerade bist.
I: Andererseits beruht ja im Grunde unsere ganze Zivilisation darauf, dass Menschen immer wieder über Grenzen hinausgegangen sind und mit immensen Leistungswillen die tollsten Sachen erfunden haben. Hätten wir heute Computer, wenn Menschen genügsame Jäger und Sammler geblieben wären?
A: Nein, natürlich nicht. Es ist aber ein großer Unterschied, ob ich mit meiner ganzen Hingabe an einer Erfindung arbeite oder ob ich vor allem deswegen so viel arbeite, weil ich mich ansonsten wertlos fühle. Ich arbeite und erforsche ja auch mit meiner ganzen Hingabe das Thema Hara. Ich mache das aber nicht, um die Beste zu sein, sondern weil mich das Thema begeistert. Da ist auch eine sehr spielerische Komponente dabei. Und das ist ein wichtiger Unterschied, denn alles, was du machst, um besser zu werden als andere, bekommt etwas sehr Verbissenes.
I: Um noch mal zum Anfang zurückzukehren: Du hast ja längst Erfolg in deinem Beruf gefunden. Was aber hat dir damals geholfen, durchzuhalten, als die ersten Gruppen nicht liefen!
A: Meine Liebe zu der Arbeit! Ich wusste einfach, dass ich genau das machen will. Was mir auch sehr geholfen hat: Osho sprach damals über Jesus, der zu seinen Jünger sagte: „Schaut die Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht…“ Von diesem Bild ließ ich mich leiten. Die Lilien sind einfach da und verströmen ihren Duft. Denen ist egal, ob jemand stehen bleibt oder nicht. So ähnlich wollte ich dann einfach ausprobieren: Kann ich von dem leben, was ich wirklich liebe oder verhungere ich dann? Anfangs war es manchmal wirklich knapp – und natürlich habe ich für meine Überzeugung dann einen bestimmten Lebensstil in Kauf genommen. Eben nicht so viel Geld und kein Auto zu haben. Aber ich tue etwas, von dem ich überzeugt bin und wofür ich mich nicht verbiegen muss.
I: Ist das nicht auch ein wichtiger Ausdruck der Selbstliebe, eine Arbeit zu tun, die einem am Herzen liegt?
A: Für mich ist das sehr wichtig – ich würde aber keine Formel daraus machen. Es kann für jemand anders genauso stimmen, seine Arbeit in erster Linie als Broterwerb zu sehen und ganz in seiner Familie aufzugehen. Oder in einem Hobby seine Leidenschaft zu leben.
I: In wieweit kann Meditation helfen, sich selbst ein Freund zu werden?
A: Sie ist dafür ein sehr wertvolles Werkzeug, denn in der Meditation kommst du dir näher. Es geht ja gerade nicht darum, dich unter die Decke zu beamen oder in den Kosmos abzutauchen. Das wäre ein Von-dir-weg-meditieren. Meditation ist heilsam, wenn sie zu dir hinführt. Es ist ein Bei-Dir-Ankommen.
I: Gibt es eine bestimmte Meditation, die du in diesem Zusammenhang empfehlen kannst?
A: Ich würde eine Übung aus der Gruppe Who is in? – empfehlen. In dieser Gruppe sitzt man sich ja in Reihen gegenüber und stellt immer wieder die Frage: Wer ist da drin? Und irgendwann landet jeder Teilnehmer vor einem Spiegel und stellt sich selbst die Frage: Wer ist innen? Was spüre ich gerade? Wenn du in deiner Kindheit eine ganze massive Ablehnung erfahren hast, dann ist es anfangs sehr schwer, 40 Minuten vor einen Spiegel zu sitzen und dich mit allem anzunehmen, was du da siehst. Vielleicht sind 40 Minuten daher anfangs zu viel, aber nach und nach kannst du feststellen, wie sich der Umgang mit dir selbst verändert. Dass du freundlicher mit dir selbst wirst und dich besser annehmen kannst.
Das Interview erschien in der Osho Times vom Januar 2012