Hara und Kreativität
Was hat der Bauch mit Kreativität zu tun?
Kreativität ist keine Kopf-, sondern eher eine Bauchgeburt. Darüber sind sich die meisten Künstler einig, wenn sie ihren Schaffensprozess beschreiben. Kreativität lässt sich nicht planen, sondern entspringt oftmals dem Spontanen und Unbewussten oder auch dem viel zitierten Bauchgefühl. Wir sprechen vom »kreativen Funken«, der plötzlich einen Impuls zum Schaffen hervorruft.
Die rigide Ordnung des Verstandes durchbrechen
Künstler haben im Laufe der Geschichte – bewusst oder unbewusst – die unterschiedlichsten Wege beschritten, um ihre Inspiration zu wecken. Die Palette reicht von Schlafentzug (Van Gogh), Drogenexzessen (Charlie Parker, Jackson Pollack) bis hin zu Spiritualität und Religiosität (Bach, Chagall, Beuys, König David) und Meditation (John Coltrane und Rabindranath Thakur).
All diese unterschiedlichen Wege dienen letztlich dazu, die rigide Ordnung des Verstandes zu durchbrechen. Oder wie Nietzsche sagte: »Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.« (Nietzsche, Also sprach Zarathustra), und dies kann unser Verstand nicht, denn »die Quelle unserer Kreativität liegt im Unbewussten«, schreibt der Wissenschaftsjournalist Bas Kast in seinem Buch »Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft«. »Da der bewusste Verstand nur mit einer Hand voll Informationen umgehen kann, geht es im Verstand – normalerweise – nicht chaotisch zu, sondern geordnet.
Wirklich Neues entsteht aber nicht aus bereits vorhandener Ordnung (...), sondern aus dem Ordnen von Chaos.
« Es geht also darum, »den Filter im Kopf etwas zu lockern, jedoch nicht so weit, dass man in eine Psychose oder in eine bodenlose Traumwelt abstürzt. Es kommt darauf an, offen zu sein für die ›Reize‹ des Unbewussten, ohne den Verstand zu verlieren.« Viele erleben diesen Zugang zum Reich des Unbewussten bei Tagträumen, im Dämmerzustand kurz vor dem Einschlafen, beim Schauen aus dem Fenster im fahrenden Zug oder einfach draußen in der Natur.
Wie schon beschrieben ist auch der Kontakt zur eigenen Mitte sehr förderlich für das kreative Schaffen. Vor allem für aufführende Künstler (Schauspieler, Tänzer und Musiker) ist die eigene Körperwahrnehmung und Zentrierung essenziell für ihren kreativen Ausdruck. Im Rahmen ihrer Ausbildung lernen sie im wahrsten Sinne des Wortes mit der Erde verbunden zu sein und sich aus ihrer Mitte heraus darzustellen. Denn nur so können sie ganz im Moment sein und gewinnen authentische Präsenz. Auch bei diesem Prozess geht es darum, die Enge des filternden Verstandes zu durchbrechen und in die Tiefe des eigenen Wesens vorzudringen.
(Auszug aus der Diplomarbeit von Nina Ruho Lösel, 2008)