Bauchatmung, Erdung und Hara Zentrierung
Bauchatmung, Erdung und Hara Zentrierung
Ishu von der deutschen Osho Times interviewt Anando Würzburger über „Stille in den Stürmen des Alltags“
Ishu: „Dein Training trägt als Untertitel: „Stille in den Stürmen des Alltags“. Wie kann man auch in stressigen Zeiten Stille finden?
Anando: „Indem wir unsere Mitte finden! Denn dort finden wir auch Stille. Oft sind wir ja vollständig mit unseren Gedanken und Gefühlen identifiziert. Da hilft es sehr, eine Etage tiefer zu gehen: zu unserem Bauch und unserem Hara. Osho spricht oft über die Dreiteilung von Kopf, Herz und Hara. Die meisten von uns identifizieren sich stark Kopf oder Herz. Aufgrund unserer Kultur sind wir hier in Deutschland stark mit dem Verstand identifiziert. Weiter im Süden, in Italien orientiert man sich mehr an Herz und Gefühl. Dort wird alles schnell zum Drama und man verliert sich in Gefühlen. Egal, ob das jetzt Sehnsucht oder Wut ist, man ist auf der Gefühlsebene verhaftet. Wenn wir so auf Kopf oder Herz fixiert sind, können wir keinen Zugang zu unserer Mitte finden. Daher müssen wir lernen, unseren Körper neu wahrzunehmen.
Ishu: „Auch beim Achtsamkeitstraining nach Kabat-Zinn geht es um ein bewusstes Wahrnehmen des Körpers. Wie unterscheidet sich Dein Ansatz von ihm?“
Anando: „Ja, auch bei unserem Training ist es wichtig, die Aufmerksamkeit in den Körper zu lenken. So lernen wir, wahrzunehmen, ohne zu urteilen und können mit dem sein, was ist. Im Training kommt dazu, dass wir auch mit den Themen Erdung, Zentrierung oder auch dem Atemfluss arbeiten.
Durch das stille Sitzen und das Praktizieren der Achtsamkeit lernen wir, anders mit unseren Gedanken umzugehen, nur bringt uns das nicht unbedingt in unsere Kraft. In dem Training verwende ich neben den Hara-Übungen auch Übungen aus dem Qi Gong und Tai Chi. Das sind Bewegungsübungen, die dich erden und gleichzeitig in deine Kraft bringen. Sie sind ein wunderbarer Ausgleich für Leute, die hauptsächlich am Schreibtisch sitzen.
Die Hara-Arbeit hat daher noch eine andere Dimension als das reine Achtsamkeits-Training. Daher auch der Titel: „Hara – die Kraft aus der Mitte“. Unsere Mitte hat etwas von einer physischen Kraftquelle, schließlich kommen viele der Übungen aus dem Kampfsport. Und auch die Wahrnehmung der Erde und der Beine unterstützt uns darin, dass wir uns kraftvoller fühlen.
Es geht bei dem Training nicht darum, dass die Teilnehmer hinterher komplizierte Übungen wie die „8 Brokate“ aus dem Tai Chi beherrschen. Denn es ist sehr schwer, komplette Übungsabläufe aus dem Tai Chi in kurzer Zeit zu erlernen. Ich habe die Übungen daher so vereinfacht, dass sie von jederman praktiziert werden können. Denn viel wichtiger ist, dass die Teilnehmer innerlich ein Gespür für den Energiefluss bekommen. Dass sie eine Verbindung zur Erde und zum Himmel erleben können. So können sie erfahren, dass sie getragen werden.“
Ishu: „Geht es bei den Übungen vor allem darum, in seiner Mitte präsent zu bleiben?“
Anando: „Der Schritt wäre, die eigene Mitte überhaupt wahrnehmen zu können. Viele sind ja so mit ihren Gedanken und Gefühlen identifiziert, dass sie zunächst keinen Zugang finden. Um unsere Ebene vom Sein entdecken zu können, müssen wir uns neu verorten. Diese Art von Zentrierung hat sowohl eine körperliche als auch eine energetische Dimension und sie bezieht unser Bewusstsein mit ein.“
Ishu: „Gibt es in der Mitte keine Gedanken oder Gefühle?“
Anando: „Unsere Mitte ist Stille – du kannst auch sagen: Präsenz. Da können natürlich auch Gedanken und Emotionen sein, aber du haftest ihnen nicht an. Das macht einen großen Unterschied. Natürlich sind auch Gedanken in unserem Kopf – es geht nicht darum, dass wir uns davon abwenden. Unsere Geschichte ist ein Teil von uns – genauso wie unser Körper. Nur wenn ich mein innerstes Wesen nie erfahren habe, werde ich auch eine große Angst vor dem Sterben haben. Denn dann bin ich ausschließlich mit den Anteilen in mir identifiziert, die vergänglich sind.“
Ishu:“Und der Kern ist das, was ewig bleibt?
Anando:“Das kann ich natürlich nicht mit letzter Bestimmtheit sagen, ich bin ja noch nicht gestorben! (lacht) Ich kann mich nur an meine Wahrnehmung halten, die ich hatte, wenn jemand gestorben ist. Da habe ich eine Präsenz im Raum wahrnehmen können, die wirklich greifbar war. Diese Präsenz war spürbar, obwohl das Herz nicht mehr schlug und keine Gehirnströme mehr messbar waren. Und nach 2, 3 Stunden war sie dann weg. Das war für mich eine sehr beeindruckende Erfahrung. Um so etwas erfahren zu können, ist es wichtig, sich mit der eigenen Mitte zu verbinden. Das verändert sehr viel, weil wir dann auch unser Leben anders sehen. Aber natürlich sind wir auch dann noch durch unsere Geschichte mit allen Emotionen geprägt. Aber wir kennen so eben auch eine andere Dimension.“
Ishu:“In der Psychotherapie geht man davon aus, dass man durch die Lösung psychischer Blockaden auch körperliche Blockaden lösen kann. Geht dein Ansatz den umgekehrten Weg: Indem ich mich in meiner Mitte verorte, kann ich auch psychische Probleme lösen?“
Anando:“Wir im Westen denken viel in Ursache und Wirkung: erst Psyche, dann Körper. Im Osten begreift man das mehr als Einheit: Körper, Geist und Seele. Es ist ein Zusammenspiel. Wenn zum Beispiel mein Leber-Chi zu viel Hitze hat, werde ich schnell wütend. Irgendwann explodiere ich und dann köchelt es schon wieder. Man kann dann mit seinem Bewusstsein arbeiten und sehen: Ich reagiere oft im Kampf-Modus und gehe schnell an die Decke. Da hilft es, mir klar zu machen, dass das Leber-Chi auch viel mit meiner Lebensführung zu tun hat. Dass da etwa eine regelmäßige Tagesstruktur hilfreich sein kann. Oder man betrachtet es mehr von der Psyche: Warum bin ich so wütend? Und stelle dann vielleicht fest, dass ich seit frühester Kindheit das Gefühl hatte, ungerecht behandelt zu werden. Man kann das also von ganz unterschiedlichen Seiten betrachten. Klar ist allerdings, dass durch die achtsamen Übungen, die wir im Training verwenden, Körper u n d Geist trainiert werden. Dadurch bekommen auch meine Emotionen eine andere Gewichtung. Durch bestimmte Übungen können wir lernen, uns zu entspannen, auch wenn sich etwas unangenehm anfühlt. Wenn mich z.B. jemand geärgert hat, kann ich mich anders verorten, indem ich mich erde und spüre: Wo sind meine Füße? Wo ist der Boden? Ich leite meinen Atem nach unten und gebe einen Teil der Spannung ab, statt mich von meiner Wut leiten zu lassen und zu explodieren. Das heisst nicht, dss ich mir alles gefallen lasse, eher im Gegenteil aus meiner Mitte heraus kann ich besonnener handeln.“
Ishu: „Allerdings ist dafür die Voraussetzung, dass man ein Bewusstsein für den eigenen Körper entwickelt?“
Anando: „Richtig! Was passiert bei Wut? Das Nervensystem im Bereich des Zwerchfells wird aktiviert, um uns kampfbereit zu machen. Das erzeugt dann oft auch Spannung im Nacken – der Instinkt und das Nervensystem bereiten sich auf einen Kampf vor, die Energie, das Ki, schießt nach oben. Wir fühlen die Wut im Oberkörper und verlieren so den Kontakt zu den Beinen, zum Boden. Die Übungen, die wir lernen, kommen ja aus den asiatischen Kampfkünsten, wo es darum geht, auch in Extremsituationen auf dem Boden zu bleiben und sich weder in übermäßiger Angst noch in übermäßiger Wut zu verlieren. Du kannst den Kampf nur gewinnen, wenn du in deiner Mitte bleibst.“
Ishu: „Wir im Westen sind wahrscheinlich viel besser in unseren geistigen als in unseren körperlichen Fähigkeiten ausgebildet…“
Anando: „Ja, wir sind eher kopflastig. Es gibt Untersuchungen, dass den Kindern heute mehr und mehr eine gute Körperwahrnehmung fehlt. Sie haben Schwierigkeiten in der Körperkoordination und darin, die Balance zu halten. Das wirkt sich auch auf unser Selbstbewusstsein aus. Für unser Gehirn fühlt es sich nicht gut an, wenn wir nicht in unserem Körper verwurzelt sind und nicht unsere Kraft spüren können. Schließlich ist unser Gehirn immer noch so ausgelegt, dass wir auch mit dem Angriff eines Säbelzahntigers umgehen können. (lacht) Und wenn wir unsere Kraft im Körper nicht wahrnehmen können, verunsichert uns das. Das hat großen Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung. Und natürlich ist es über den Körper viel leichter im Moment zu sein. Unser Verstand geht immer von den Erfahrungen aus der Vergangenheit aus und projiziert sie in die Zukunft. Das hat dann oft nichts mit der Realität zu tun. Über den Körper können wir den Schnellzug anhalten, der da manchmal durch unsern Kopf rauscht. Da hilft es sich im Körper zu verankern, auszuatmen und zu schauen: Was ist jetzt wirklich los?“
Ishu: „Es geht aber auch um Körperkraft?“
Anando: „Ja, aber sicher nicht nur im Sinne von Muskelstählung. In meinen Gruppen sind häufig Männer, die trainiert und durchaus muskulös sind. Die sind meist so um die 40 – ich dagegen bin schon über 60 Jahre. Und wenn es dann bei den Qi Gong-Übungen darum geht, für 2 – 3 Minuten eine stehende Position zu halten, haben viele von ihnen richtige Probleme. Da ist dann zwar Muskelkraft, aber kein energetischer Fluss. In den Übungen lernen wir, uns mit Erde und Himmel zu verbinden – da erfahren wir eine Kraft, die aus der Entspannung kommt. Und daraus entspringt mehr Kraft als aus der Anstrengung. Die Energie fließt durch die Faszien. Diese umspannen Muskeln und Bindegewebe. Die Kraft kommt aus diesem Energiefluss, wenn aber die Muskeln und Faszien hart und gepackt sind, fehlt diese Durchlässigkeit. Und so kann jemand wie ich, die weniger Muskeln hat als trainierte Männer, viel länger und entspannter stehen. Die Kraft kommt aus der Entspannung, dem Loslassen. Aus der Leichtigkeit entsteht ein Fluss.“
Ishu: „Die schwierigsten Situationen sind ja solche, die ganz plötzlich über uns hereinbrechen. Du sitzt entspannt in deinem Büro und plötzlich kommt dein Chef herein geschossen und staucht dich zusammen. Kann ich bei deinem Training lernen, auch in einer solchen Situation entspannt in meiner Mitte zu bleiben?“
Anando: „Das ist natürlich Übungssache. Mag sein, dass du an deinem Chef ein paar Jahre zu knacken hast. Das sollte man schon realistisch sehen, aber es ist ja auch eine Wachstumsherausforderung. Die Veränderung kommt mit dem Training. Kampfsportler üben jeden Tag. Dadurch wächst im Gehirn der präfrontale Kortex, der die Fähigkeit hat, das limbische System zu beruhigen. So können wir lernen, auch in schwierigen Situationen präsent zu bleiben. Im Qi Gong gibt es zum Beispiel die Eiserne-Hemd-Übungen, die speziell auf solche Umstände zugeschnitten sind. Da lernst du in einer schwierigen Situation, trotz Spannung im Körper – im Fluss zu bleiben und dich mit der Erde zu verbinden.
Das ist übrigens auch ein wichtiger Unterschied zum Ansatz der Bioenergetik, wo du auch lernst, auf einer körperlichen Ebene mit Gefühlen zu arbeiten: Du bist wütend und dann gehst du in eine Katharsis. Dadurch wird das limbische System aktiviert und du schreist deine Emotionen heraus. Natürlich ist das besser, als die Wut gar nicht wahrzunehmen und stattdessen eine Kopfschmerz- oder Schwindelattacke zu bekommen. Das Tai Chi verfolgt einen ganz anderen Ansatz: Es geht nicht darum, die Emotionen rauszulassen, sondern die vorhandene Energie in ihrer ganzen Fülle in den Fluss zu bringen. Du bleibst mit der Fülle und gleichzeitig hast du durch die Erdung die Kraft, mit dem zu sein, was ist – ohne dich „wegzubeamen“.
Ishu: „Es geht also weniger um Ausdruck der Emotionen, sondern eher um eine Transformation der Energie?“
Anando: „Ja, das ist ein zentraler Punkt der Übungen und Meditationen. Im Weiteren geht es im Training auch darum, ein Verständnis dafür zu bekommen, wie man diese Übungen anleiten kann. Dafür ist es sehr wichtig, ein Gespür dafür zu bekommen, was Sprache bewirkt. Mit welchen Worten man welche Ebene anspricht. Wenn ich zum Beispiel eine Qi Gong-Übung anleite und dann frage: Was ist der Unterschied zwischen linkem und rechtem Bein? Dann spreche die Verstandesebene an, die schnell beim Urteilen und Vergleichen ist. Daher sage ich: „Lass dich den Energiefluss in den Beinen spüren.“ Außerdem versuche ich eine Sprache zu verwenden, die nicht so emotional gefärbt ist. Ich frage also nicht: „Wie fühlt sich das an?“, sondern neutral: „Was spürst du?“
Ishu: „Welche Rolle spielt die Atmung im Zusammenspiel mit Erdung und Hara?“
Anando: „Wenn wir entspannt sind, atmen wir mit dem Bauch. Viele haben keinen Zugang mehr zu ihrer Bauchatmung, weil sie permanent im Kampfmodus sind. Deswegen können wir durch die Bauchatmung ganz viel im System bewirken. Das kann einen Schalter umlegen und Gehirn und Nervensystem beeinflussen. So kann man den Parasympathikus aktivieren, der für das Runterfahren und entspannen zuständig ist. Natürlich ist die Atmung ein ganz wesentlicher Bestandteil der Übungen, die wir in diesem Training lernen.“