Katsugen Undo ist Ordnung und Spontaneität oder "Moving Zen"
Interview durch Ishu von der deutschen O.T. mit Anando Würzburger über Katsugen Undo. Katsugen Undo ist Teil der umfassenden Heilmethode Seitai, die der Japaner Haruchika Noguchi in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat.
Was ist Katsugen Undo?
"Katsugen Undo kommt aus dem Japanischen und bedeutet „Bewegung von innen“. Deswegen auch die Bezeichnung: regenerating movement exercises – also regenerative Übungen. Das Wort „Übung“ vermittelt den Eindruck, dass man sie macht oder steuert. Das wäre jedoch ein Missverständnis, denn Haruchika Noguchi hat hier eine Methode entwickelt, bei der sich der Körper durch spontane Bewegungen selber reguliert und ins Gleichgewicht bringt. Er hat dazu eine Vielzahl von Übungen entwickelt, die diese spontanen Bewegungen anregen. Denn für uns ist dieses spontane Bewegen oftmals schwierig, obwohl es eigentlich das Natürlichste auf der Welt ist. Wenn zum Beispiel Hunde oder Katzen aufstehen, nachdem sie geschlafen haben, dann strecken und recken die sich erstmal gründlich und zwar auf sehr elegante Art und Weise. Auch Kinder machen viele Bewegungen, die nicht Ziel gerichtet sind, sondern einfach aus sich heraus entstehen. Im Laufe unserer Erziehung verlieren wir das meistens. Und unsere gesteuerten kontrollierten Bewegungen haben dann einen hohen Spannungsgrad. Wenn wir Sport machen, bewegen wir uns oft nicht aus einer Leichtigkeit heraus – wie etwa eine Katze, die sich streckt und deren Bewegung ganz von innen heraus kommt. Bei uns hat es oft etwas Angestrengtes."
Was sind denn eigentlich spontane Bewegungen?
"Bewegungen, die nicht vom Willen gesteuert werden. Noguchi hat sie als extrapyramidale Bewegungen bezeichnet. Gähnen, Pupsen oder Rülpsen ist ein Teil davon. Oder wenn wir uns nachts im Schlaf bewegen, sind diese Bewegungen auch nicht vom Verstand gesteuert. Da versucht sich oft der Körper die Freiheit zu nehmen, die wir uns am Tag nicht erlauben."
In vielen von Oshos Meditationstechniken gibt es ja auch Raum für spontane Bewegungen. So zum Beispiel in der Tanzphase bei der Kundalini, wo es ja auch nicht um ein Show-Tanzen geht, sondern um eine Bewegung von innen…
"Das stimmt. Und gerade diese Bewegungen fallen vielen sehr schwer, weil sie oft Scham besetzt sind. Oft haben wir den Zugang zu dem spontanen Ausdruck unseres Innern im Laufe unserer Erziehung verloren.
Katsugen Undo ist daher eingebettet in verschiedene Übungen und Meditationen, die wieder ein Gleichgewicht im Körper herstellen. Sie laden die Fähigkeit des Körpers ein, sich durch spontane Bewegungen zu regulieren. Haruchika Noguchi hat genau die Spannungsmuster im Körper untersucht und sich gefragt, welche Impulse nötig sind, dass einerseits eine Öffnung stattfindet, aber andererseits das Spontane Raum bekommt.
Das große Gesamtbild hat er Seitai genannt, was so viel wie „wohl gestimmter Körper“ bedeutet. Katsugen Undo ist ein Teil davon – der andere Teil sind die Übungen, die den Körper öffnen und ihn wieder in eine Ordnung bringen. Dem zugeordnet ist auch das Yu-ki, bei dem die Hände aufgelegt werden. Dabei geht es darum das Chi zu erspüren, anzuregen und zu regulieren. Das kann man sowohl bei sich selber machen als auch zusammen mit einem Partner.
Noguchi sagte, dass unsere Lebensenergie gerne kommuniziert. Mittlerweile gibt es ja auch viele neurowissenschaftliche Studien, die belegen, wie die Selbstregulation auf Berührung anspricht. Das hat ganz frühe Wurzeln in unserer Kindheit, wo das Baby sich über den Körperkontakt zur Mutter reguliert. Was ja nicht heißt, dass wir dieser Regulation über den Körperkontakt später entwachsen sind. Es ist Teil unserer Natur, sich innerhalb der Gruppe im sozialen Kontakt zu regulieren. In der japanischen Kultur ist das noch viel mehr verankert, denn dort ist das Wir-Gefühl viel ausgeprägter. Den Menschen dort ist mehr bewusst, dass die Gemeinschaft wichtig für das Wohlbefinden des Menschen ist. Von den Neurowissenschaften wissen wir mittlerweile, wie sich unsere Bindungsfähigkeit schon in sehr frühem Alter entwickelt und wie sich frühe Störungen auf unser Erwachsenenleben auswirken, da sie uns Teil unserer Selbstregulationsfähigkeit nehmen.
Deswegen ist es Teil vom Seitai, dass man sich wieder in das heilende Feld der Gruppe begibt, um innerhalb dieses Feldes der Selbstregulation Raum zu geben. Und so gibt es neben vielen Übungen, die man allein macht, auch Partnerübungen."
Bei dem von Noguchi entwickelten Gesamtkonzept geht es also sowohl um die Ordnung des Geistes und des Körpers als auch um seine Spontaneität?
"Genau. Daher trägt eines seiner bekannten Bücher den Titel: „Order, Spontaneity and the Body“. Es geht genau um die Polarität von Ordnung, Struktur und Spontaneität. Beides gehört zusammen. Und zu dieser Ordnung gehört auch eine spirituelle Ausrichtung. Dass wir uns als Teil von etwas Größerem sehen, das uns nährt und trägt und mit dem wir in einem osmotischen Austausch sind. Wenn ich das nicht bin, sondern in meiner Ego-Struktur verhaftet bleibe, dann bin ich auch energetisch isoliert. Deswegen ist ein Teil von Seitai die spirituelle Ausrichtung und zwar auf eine energetische Art und Weise – ohne spirituellen Überbau. Haruchika Noguchi hat das „moving zen“ genannt. Denn diese Bewegungen von innen heraus geschehen in Stille und so kann man viel leichter Stille erleben, als wenn man im Sitzen meditiert. Da berührt sich sein Ansatz mit den Meditationstechniken, die Osho entwickelt hat. Denn wie wir bereits erwähnt haben, gibt es dort ja auch Phasen mit spontanen Bewegungen, die uns in die Stille führen. So habe ich auch die Meditationen von Osho noch einmal viel tiefer verstanden. Auch gerade wie wichtig die Erdung ist. Denn ich kann ja auch eine Tanzmeditation machen und dabei überall und nirgends sein und mich darin verlieren. Und dann werde ich im Extremfall immer alltagsuntauglicher. Deswegen haben wir ja in Pune in der School of Centering and Martial Arts sehr viel mit der Erdung gearbeitet."
Wie hat Noguchi dieses System entwickelt – was war sein Hintergrund?
"Bevor Noguchi 1956 die Seitai Society gründete, die auch vom Japanischen Gesundheitsminstrium anerkannt und gefördert wurde, gab es eine Phase, in der er mit verschiedenen Heilern zusammengearbeitet hat. Sie haben damals verschiedene Aspekte zusammen getragen, wie sich der Körper reguliert und wie man ihn dabei unterstützen kann. Dazu haben sie alte und neue Ansätze und Methoden ausgewertet. Das war also die Grundbasis, aus der dann Seitai entstanden ist. Schon als 15-jähriger war er in Japan berühmt geworden durch die Bahndlung von Erdbebenopfern. Ihm war es jedoch ein zentrales Anliegen Menschen zu befähigen, Körper und Geist selbst in "Seitai", in einen "wohlgestimmten Körper " zu bringen. Es ist eine Art Heilung zu suchen, nicht durch Behandlungen, Kräuter oder Diäten, sondern von innen aus dem Körper heraus, und zwar bevor das Ungleichgewicht zu Krankheit führt. Indem wir unsere körperliche Sensibilität erhöhen für das, was uns gut tut. Anstatt blindlings Diäten zu folgen, die nicht zu meinem Körper passen, lerne ich auf meinen Körper zu hören. "
Du bietest 3-Tage-Workshop an – kann man Katsugen Undo in drei Tagen lernen?
"Jedenfalls in der Form, dass du es für dich zu Hause praktizieren kannst, aber natürlich nicht so, dass du selber damit arbeiten kannst. In der Tradition des Seitai musst du erstmal viele Jahre lang lernen, bevor du es weitergeben kannst. Ich selber habe das Katsugen Undo Ende der 80er Jahre in Pune kennen gelernt. Damals hatte Osho eine Japanerin eingeladen, die Katsugen-Undo Workshops gegeben hat. Ich war sofort sehr fasziniert davon. Seither beschäftige ich mich damit und hatte die unterschiedlichsten Lehrer. Die letzten zehn Jahre habe ich Unterricht bei einer Japanerin, die noch direkt bei Noguchi gelernt hat. Das hat mein Verständnis noch einmal sehr vertieft. Mittlerweile weiß ich, dass es eine Lebensaufgabe ist, dass sehr umfassende System von Seitai zu erlernen."
Wie genau hat sich dein Verständnis durch deine Lehrerin vertieft?
"Nur ein Lehrer, der wirklich ein tiefes Verständnis von Seitai hat, kann seinen Schülern auch Tiefgang vermitteln. Natürlich kannst du deinen Schülern auch ein paar Basisübungen geben, die dann die spontanen Bewegungen anregen. Aber damit würde man doch sehr an der Oberfläche bleiben. Ein guter Lehrer hat genügend Erfahrung, um bei seinen Teilnehmern zu sehen, wie die Energieverteilung ist. Wo es vielleicht Anregungen braucht, wo mehr Kraft erforderlich ist oder wo es um ein Loslassen geht. Es braucht viele Jahre, um so ein Verständnis zu entwickeln. Dafür musst du durch deinen eigenen Prozess gehen, deinen Typus kennen lernen und die eigenen körperlichen Veränderungen wahrnehmen und die der anderen Teilnehmer aus deiner Gruppe. Der Spannung in unserem Körper entspricht ein bestimmtes emotionales Muster, eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur. Wenn ich zum Beispiel das Muster habe, schnell in Kampfbereitschaft zu gehen, habe ich eine bestimmte Art zu gehen. Es gibt bestimmte Spannungen im Körper, die ein erfahrener Lehrer wahrnehmen kann. Wenn man jemand den Raum betritt, kann er sehen: Das ist überwiegend ein Kämpfer-Typus, ein Denker-Typus oder ein anderer Typus. In jeder Art von Typus fällst du immer wieder aus deiner Mitte heraus und das spiegelt sich in den Verspannungen deines Körpers wieder. Noguchi bezeichnete den Typus immer als eine "Tendenz", das heisst Neigung. Im Idealfall haben wir alle "Tendenzen", Neigungen in gleichmässigen Anteilen. Wir brauchen sie alle, nur die übermässige Tendenz zu einem emotionalen Muster führt zu einer "Verdrehung" in unserem Körper."
Was hast du für dich selbst über deinen Körper und deinen Typus gelernt?
" Alle Aspekte der Emotionen sind wichtig – das Problem ist meistens die Verteilung. Wenn ich überwiegend von einem Teil bestimmt bin, fehlt mir meistens ein anderer Teil.
Ich bin vom Typ her sehr offen. Die positive Seite davon ist, dass ich sehr viel von anderen mitbekomme, was natürlich gut für meine therapeutische Arbeit ist. Das Problem ist die mangelnde Abgrenzung. Der offene Typus lässt sich schnell ablenken – er hat Schwierigkeiten, den eigenen Fokus zu halten. Man verliert sich in den anderen. Das ist das Gleiche beim Meditieren: Wenn du keinen Fokus hast, dann kannst du dich auch in der Meditation in der Entgrenzung verlieren. Das war für mich ein ganz wichtiger Aspekt. Heute kann ich viel besser sehen: In welchen Momenten es gut ist, diese Offenheit zu haben und wann es besser ist, den Fokus zu halten und auch die Abgrenzung zu üben."
Ist das etwas, was dein Körper dir von innen heraus signalisiert hat?
"Nein, zunächst mal nicht. Denn als „offener Typus“ war mir das Problem gar nicht bewusst. Mit meiner Lehrerin habe ich dann gelernt, dass dieser Typ zu weit geöffnete Becken hat. Das heißt: In der Mitte fehlt die Kraft. Sie hat mir dann bestimmte Übungen gegeben, die diese Kraft in die Mitte zurückbringen. So ist eine andere Präsenz in meiner Mitte entstanden und das hat auch etwas mit meinem Geist gemacht. Ich weiß heute, wie ich meine Aufmerksamkeit immer wieder in meine Mitte bringen kann und auch bei Partnerübungen kann ich jetzt deutlich wahrnehmen, wenn ich mich in dem anderen verliere. Das hat auch mein Beziehungsmuster im Alltag verändert – ich orientiere mich heute viel mehr an dem, was für mich stimmig ist, auch wenn ich mit anderen zusammen bin. Im Idealfall gibt es ein Miteinander, wo beide präsent sind."
Es ist also nicht so, dass allein durch die spontanen Bewegungen alles an den richtigen Platz fällt – vielmehr ist das Katsugen Undo Teil von einem größeren Gesamtkonzept, das sich Seitai nennt?
"Das ist richtig. Neben den Übungen geht es auch darum, ein Bewusstsein für das zu entwickeln, was fehlt. Dafür ist es sehr wichtig, einen erfahrenen Lehrer zu haben. Wenn wir diesen Spiegel nicht haben, können wir auch nicht wahrnehmen, dass zum Beispiel meine Beine keine Kraft haben. Schließlich ist das für mich normal – ich kenne mich ja nur so!"
Sind diese Übungen eigentlich für jeden geeignet?
"Sie sind für jeden geeignet und sie sind auch ganz unabhängig vom Alter. Die Mutter meiner Lehrerin ist im letzten Jahr 100 geworden und sie bekommt jeden Tag von ihrer Tochter Yuki. Und natürlich ist sie sehr mit ihrem Körper verbunden und hat gelernt, sich auf seine Bedürfnisse einstellen. Und zwar nicht mit einer Ängstlichkeit, wie das bei uns oft der Fall ist. Die Japaner haben oftmals eine viel robustere Einstellung und muten ihrem Körper auch durchaus etwas zu.
Noguchi hat manchmal gesagt, dass der Westen die Neigung habe, in so ein Schonungsmuster zu verfallen und zu denken, man lebe gesund, wenn man seinen Körper nicht fordert. Vielleicht hat das ja auch mal früher für Leute gestimmt, die im Bergwerk gearbeitet haben, aber für unsere heutige Bürowelt stimmt das eben nicht mehr. Wenn du zum Beispiel eine Erkältung hast, ist es sicher gut, auf die Bedürfnisse des Körpers zu hören. Vielleicht legst du dich dann mal 2,3 Stunden hin und schläfst. Aber unter Umständen reicht das auch schon und du kannst dann ruhig den Rest der Zeit arbeiten. Vorausgesetzt, du bleibst in Kontakt mit dem Körper. Wenn der Körper den Impuls gibt, sich zu bewegen, sollte man dem folgen. Und wenn er Müdigkeit signalisiert, legt man sich halt hin und schläft.
Auch diese Sichtweise war für mich neu und hat viel verändert. Es geht immer wieder um die Feinabstimmung. Wie gesagt: Seitai besteht aus einem sehr umfassenden Konzept. Das Wichtigste ist dann nicht, dass man zehnmal am Tag bestimmte Übungen macht – das Wichtigste ist zu lernen, was dein Körper dir signalisiert. Was er braucht, um sich zu regulieren. Dann spürst du selber: Heute brauche ich eine ganz bestimmte Übung, morgen vielleicht gar keine. Wenn sich diese Wohlgestimmtheit erstmal wieder in deinem Körper eingestellt hat, dann wird er zunehmend seiner natürlichen Tendenz folgen, sich selber regulieren."