machtMacht kann man lernen

Ein Interview mit Anando Würzburger

Macht besteht nicht nur aus ausgeklügelten machiavellistischen Strategiespielen, Macht hat auch eine ausgesprochen körperliche Dimension.
Dabei geht es nicht mehr wie zu Beginn der Evolution um das Recht des körperlich Stärkeren, es geht vielmehr um energievolle körperliche Präsenz. Helmut Kohl war bei Verhandlungen gefürchtet, da er allein von seiner Statue und Körpermasse („der schwarze Riese“) ein gewaltiges Potenzial mitbrachte, um Gegenspieler an sich abprallen zu lassen oder sie klein zu machen. Politiker von kleinem Körperwuchs – Napoleon, Hitler, Stalin – kompensierten diesen Nachteil durch umso größere energetische Präsenz.
Macht drückt sich im Körper aus: Ein aufrechter Körper strahlt Kompetenz, Stolz und Selbstsicherheit aus. Vornüber gebeugt, mit schlaffen Schultern, signalisiert er Unsicherheit und Verletzlichkeit.

Ein Interview mit Anando über die körperliche und energetische Seite der Macht:
Kann man Macht üben?
Macht hat viel mit vitaler Präsenz zu tun und die lässt sich üben. Genau das geschieht ja bei den Martial Arts. Die dort praktizierten Übungen dienen zur Vorbereitung auf eine Kampfsituation: auch im Anblick eines gezückten Schwertes nicht in Angst zu versinken, sondern in seiner Präsenz zu bleiben. Die Übungen aktivieren das Hara und bringen die Energie im Bauch in Fluss. Sie basieren auf dem Gedanken der Erdung. Du musst geerdet sein, wenn du dem Gegner gegenübertrittst. Umgekehrt passiert genau das Gegenteil: wenn wir in die Ohnmacht gehen, verlieren wir den Bodenkontakt und unsere Energie schießt nach oben. Angst geht nach oben, lässt den Energiefluss einfrieren. Der Atemstrom ist blockiert und der Bauch wie fest gehalten. Unser Körper tendiert dann dazu, sich unsichtbar zu machen und in die Unterwerfung zu gehen. Es gibt diesen biologischen Reflex bei Machtverhältnissen. Man kann das gut bei Hunden beobachten: Die checken aus, wer der Stärkere ist. Dann muss der Schwächere ein Signal geben. Tut er das nicht, kommt es zum Kampf und die Rangordnung wird ausgefochten. Dann muss sich der Unterlegene als Geste der Unterwerfung auf den Boden werfen.
In abgeschwächter Form finden wir solche Riten auch in der Begegnung von Menschen. Die sprachliche Verständigung ist dabei immer nur ein Teil des Geschehens. Mindestens so wichtig ist die nonverbale Kommunikation: Wir spüren die Präsenz des anderen und insbesondere in hierarchischen Verhältnissen checken wir auch, ob das Gegenüber Durchsetzungskraft (Power-Energie) hat, ob er sich unterordnet oder Unterordnung verlangt. Die meisten von uns wurden als Kinder zur Unterordnung erzogen. Viele haben daher eine starke Tendenz einzuknicken und nicht ihren Platz einzunehmen. Doch wir können lernen, nicht schon von vorneherein in die Unterwerfung zu gehen, sondern in unserer Präsenz zu bleiben. Das ist auch ein physischer Prozess, den man erstmal im Trockenlauf üben kann. In dem man guckt, wie sich das anfühlt, wenn man in seiner Kraft ist und was einem am besten dabei hilft, dorthin zu kommen. Anschließend kann man das auch im Zusammenspiel mit anderen üben. Das heißt natürlich nicht, dass man sich unnötig mit Vorgesetzten oder gar mit einer Rockergang in der U-Bahn anlegt (lacht). Der realistische Blick darf nicht verloren gehen. Und nicht vergessen werden sollte auch, dass es in der höchsten Form der östlichen Kampfkunst gerade darum geht, es nicht zum physischen Kampf kommen zu lassen und dennoch den eigenen Platz zu halten. Menschen, die eine große physische Präsenz haben, sind ja meistens auch sehr selbstbewusst.

Kann man ein angeschlagenes Selbstbewusstsein durch körperliche Übungen überwinden?
Das allein wird nicht genügen, es bedarf auch einer Bewusstwerdung unserer Prägungen. Wir müssen uns mit den Botschaften, die wir über unseren Wert oder Nicht-Wert gehört haben, auseinandersetzen. Und gleichzeitig müssen wir unsere körperliche Vitalität aufbauen. Beides gehört zusammen. Dann können wir lernen, uns nicht von negativen Stimmen beeinflussen zu lassen, sondern in unserer Präsenz zu bleiben. Wir erleben das ja immer wieder, wenn wir eine kreative Idee haben und unser Verstand kommt und sagt: das wird nichts! Sofort schrumpft unsere Energie dahin. Darum ist es so wichtig, ein Gegenprogramm zu entwickeln, das uns zurück in unsere Präsenz bringt.

Wie kann dieses Gegenprogramm aussehen?
Zunächst mal gehst es darum, Abstand zu negativen Botschaften zu bekommen. Zu sehen, dass sie nicht das sind, was dich ausmachen, sondern von außen gekommen sind. Sie betreffen nicht deine ursprüngliche Lebensenergie. Du hast die Wahl, wo du deine Aufmerksamkeit hingibst: in das, was dich nährt oder das, was dich schrumpfen lässt. Der erste Schritt ist die Wahrnehmung: Du merkst, der Satz, den der Chef gerade gesagt hat, hat in eine alte Kerbe gehauen. Er hat dich schrumpfen lassen. Da ist es also wichtig, Abstand zu gewinnen. Und den gewinnst du am besten, wenn du dich mit deinem Hara verbindest. Dann kommst du auch zurück zu deiner Kraft und kannst sagen: He, was ist da gerade passiert? Vielleicht hat der Chef schlechte Laune oder Ärger mit seiner Frau und lässt das an mir aus. Den Schuh muss ich mir aber nicht anziehen!

Wie verbindet man sich mit dem Hara?
In dem man in den Bauch atmet, die Verbindung zur Erde spürt und den Körper beweglich hält. Es gibt viele Bewegungsabläufe im Tai Chi oder Qi Gong, bei denen man das üben kann. Das sind ja vorbereitende Übungen aus dem Kampfsport.
Außerhalb der konkreten Kampfsituation übt man sich in seiner Präsenz. Je mehr man das geübt hat, desto besser kann dann bei sich bleiben, wenn man der wirklichen Gefahr begegnet. Und genauso kann man es üben in seiner Präsenz zu bleiben, wenn man dem cholerischen Chef gegenüber tritt. Es gilt die Verbindung mit der Erde zu halten. ? Das muss man also üben und geht wahrscheinlich auch nicht an einem Wochenende? ! Nein, leider nicht! (lacht) Das ist eine langfristige Arbeit und die erfordert Kontinuität, Geduld und Achtsamkeit. Gerade, wenn jemand wenig Selbstbewusstsein mitbringt, braucht es viel Zeit und Geduld ein Gegengewicht aufzubauen. Dann ist es wichtig, sich eine Gegen-Welt zu schaffen, wo man sich als jemand erlebt, der etwas kann und seine Talente und Fähigkeiten pflegt. Wo man sich auch in seiner physischen Präsenz erleben kann – zum Beispiel im Sport.
Der Vorteil der Hara-Arbeit liegt darin, dass man dort die energetischen Veränderungen auch bewusst wahrnehmen kann. Und so kann auch das Gehirn mitlernen und anfangen, umzudenken. Es reicht eben nicht, sich seinen Frust abzustrampeln, in dem man eine Stunde Fahrrad fährt. Man muss auch, die Kraft im Körper bewusst wahrnehmen. Das Gehirn muss diese Präsenz wahrnehmen, damit es umdenken kann.

Also, bei der nächsten Begegnung mit einer einschüchternden Respektsperson haben wir die Füße auf der Erde und atmen tief in den Bauch. Gibt es sonst noch etwas – zum Beispiel einen Power- Akupunkturpunkt?
Ja, den gibt es tatsächlich. Das ist der Punkt „Niere 1“. Er befindet sich in der Mitte vom Fuß, direkt unterhalb des Fußballens. Das ist auch der Punkt gegen Hysterie oder Angst, denn auch da schießt die Energie nach oben und somit ist es wichtig, sich zu erden. Insofern kann es helfen diesen Punkt zu massieren, bevor man seinem Chef gegenüber tritt.

Du hast ja auch mit Managern gearbeitet, die in einer Machposition sind. Was ist dir bei denen aufgefallen?
Sie hatten alle ein sehr starkes Hara. Das ist mir besonders bei einer Übung aufgefallen. Diese Partner-Übung geht auf Atishas Herzmeditation zurück. Der eine Partner geht in sein drittes Chakra, das so genannte Power-Chakra, das sich auf der Höhe des Solar Plexus befindet. Aus diesem Chakra heraus versucht er sein Gegenüber verbal klein zu machen. Wir alle haben ja intuitiv ein gutes Gespür für die Schwachstelle des anderen und genau da gehst du rein. Der andere hält nicht dagegen, sondern nimmt diese negative Energie in sein Herz auf, wo sie transformiert wird. Ich habe diese Übung oft in Pune gemacht und dort fingen die Leute, in der Powerposition meist bald an zu lachen, wenn sie merkten, da hält keiner dagegen. Da vergeht einem natürlicher Weise die Lust. Ganz anders war das bei den Managern, die konnten ohne Ende weiter schießen. Sie kollabierten nicht, denn sie waren enorm präsent in ihrem Power-Chakra. Das heißt, sie waren auch sehr präsent in ihrem Hara, denn das schließt ja den ganzen Bauchraum mit ein. Sowohl das Becken, den unteren Bauch als eigentlichem Sitz als auch das 3. Chakra. Wenn wir also den Anschluss an unser Hara verlieren, funktionieren die ersten drei Chakren nicht mehr optimal. Das heißt, unsere Sexualität fließt nicht mehr richtig, unsere Sinnlichkeit und das Fühlen sind gestört, genauso wie die im dritten Chakra angesiedelte Kraft, den eigenen Selbstwert auszudrücken: Hier bin ich! Damit hatten diese Leute wirklich kein Problem.

Ist dieses Durchhaltevermögen denn überhaupt positiv? Das kann ja auch ein Zeichen völliger Ignoranz sein.
Natürlich – aber für ihre berufliche Tätigkeit scheint das sehr nützlich zu sein. Sie lassen sich halt nicht vom Pfad abbringen.

Wenn man also intensiv an seinem Hara arbeitet, seine Stärke und Präsenz entwickelt, kann das auch dazu dienen, andere platt zu machen? Das scheint mir nicht unbedingt erstrebenswert…
Das ist richtig. Deswegen geht es in der spirituellen Tradition des Kampfsports auch immer darum, gleichfalls das Herz und das Mitgefühl mitzuschulen. Und das dritte Auge, wo sich der Frontallappen befindet, der für die Impulskontrolle zuständig ist. Kriminologische Forschungen haben ergeben, dass diese natürliche Impulskontrolle bei Gewalttätern extrem schwach ausgebildet ist. Oft sind sie sehr mit ihrem Hara verbunden, haben aber keine Impulskontrolle. Ich habe mal eine sehr eindrucksvolle Dokumentation über Auseinandersetzungen in amerikanischen Gefängnissen gesehen. Diese Leute verfügten über eine instinkthafte Urkraft, aber alle Kontrollmechanismen waren außer Kraft. Das Hara ist eben nicht die reine spirituelle Präsenz sonder auch die Urkraft des Lebens. Wenn die keine Balance durch das dritte Auge findet, kann das Hara schrecklich sein. Sicher verfügten auch grausame Diktatoren wie Hitler oder Stalin über eine ausgeprägte Präsenz in ihrem Hara. Das kannst du auch sehen, wenn du Fotos von ihnen siehst. Sie standen wirklich in ihrer Mitte und hatten eine große energetische Präsenz, obwohl von kleiner Statue waren.
Das Hara allein reicht also nicht, aber es ist unsere Basis. Zusammen mit dem Kleinhirn ist es der älteste Bestandteil in der Evolutionsgeschichte unseres Nervensystems. Beide sind sozusagen unser tierisches Fundament. Als Menschen haben wir die Möglichkeit durch Schulung unseres Bewusstseins und unseres Mitgefühls darüber hinaus zu wachsen und zu unserer höchsten Bestimmung zu kommen. Wenn wir diese Basis nicht haben, bauen wir gerne schöne spirituelle Luftschlösser. Also müssen wir uns um unser Hara kümmern, denn das bringt uns in die Realität, ins Hier und Jetzt. Das Hara ist die Quelle unserer Natürlichkeit und der Boden, auf dem wir wachsen können.

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